Soziale Ausgrenzung in virtuellen Welten gewinnt in Zeiten von realitätsnahen Computerspielen und der steigenden Beliebtheit sozialer Netzwerke immer mehr gesellschaftliche Bedeutung, wie auch zunehmend Fälle von „Cybermobbing“ zeigen. Besonders die Auswirkungen von sozialer Ausgrenzung in der digitalen Welt auf das Sozialverhalten in der Realität wurden bislang jedoch wenig untersucht, am wenigsten noch unter Einbezug neuester Entwicklungen wie den Virtuellen-Realitäts-(VR)-Brillen. Anna Felnhofer von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien und Oswald Kothgassner von der Abteilung für Klinische Psychologie und der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des AKH Wien konnten nun zeigen, dass der Ausschluss aus einer virtuellen Gruppe deutliche negative Auswirkungen auf die Hilfsbereitschaft und die soziale Distanz in der realen Welt hat.
Das Experiment wurde mit dem sogenannten Cyberball-Paradigma durchgeführt, einem in die virtuelle Realität übertragenen Ballspiel, bei dem eine Versuchsperson ohne einen für sie erkennbaren Grund von den anderen BallspielerInnen ausgeschlossen wird. In vorangegangenen Studien konnten Felnhofer und Kothgassner bereits zeigen, dass Kränkungen und Ausgrenzung in virtuellen Umgebungen dieselben Emotionen auslösen und ähnliche körperliche Reaktionen bedingen wie in der Realität. „Wenn die Testperson vom Ballspiel ausgeschlossen wurde bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr mitspielen durfte, wurden die gleichen physiologischen Prozesse gestartet wie im normalen Leben. Cortisol wurde vermehrt ausgeschüttet, der Herzschlag wurde schneller, der oder die Betroffene war betrübt und zog sich zurück“, erklären die StudienautorInnen.
Bedrohung der menschlichen Grundbedürfnisse
In der aktuellen Studie wurde erneut das Cyberball-Paradigma mittels einer VR-Brille 45 jungen Erwachsenen (23 Frauen und 22 Männern) vorgegeben. Mit der sozialen Ausgrenzung wurden die vier evolutionär verankerten sozialen Grundbedürfnisse „soziale Kontrolle“, „Zugehörigkeit“, „Selbstwert“ und „Daseinsberechtigung“ maßgeblich bedroht. Und diese Bedrohung wurde auch mit ins reale Leben genommen – und zwar umso mehr, wenn die soziale Ausgrenzung durch einen „Avatar“ erlitten wurde, also einer virtuellen Figur, hinter der in der Annahme des Betroffenen ein echter Mensch steckt. Leichter ertragen wurde die Ausgrenzung durch einen sogenannten „Agenten“, also einen Charakter, der offensichtlich computergesteuert ist. „Die Ausgrenzung wurde bei Agenten aus Selbstschutz beispielsweise eher einem Computerfehler zugeschrieben“, so Felnhofer.
Die persönliche „Niederlage“ im Netz kann sich, so die ForscherInnen, ganz leicht auf die Realität übertragen, da die Emotionen dieselben sind. „So kann es passieren, dass jemand, der Cybermobbing oder virtuelle Ausgrenzung erfahren hat, sich im realen Leben plötzlich zurückzieht, passiv wird und jegliche Selbstsicherheit verliert. Das kann bis zu einer Depression oder einer Trauma-Folgestörung führen“. Gleichzeitig verloren die in der VR ausgeschlossenen Versuchspersonen nachfolgend ihre Bereitschaft, anderen in der Realität zu helfen oder benötigten mehr Zeit, sich wieder auf reale soziale Interaktion einzulassen. „Dies stellt einen Teufelskreis dar, da dieses Verhalten die Verbindung zu einer anderen sozialen Gruppe konterkariert und sich in weiterer Folge soziale und emotionale Probleme zu psychischen Störungen entwickeln können“, so die StudienautorInnen.
Medienkompetenz entwickeln, Interesse zeigen, Gefahren besprechen Daher ist es wichtig, Medienkompetenz für virtuelle Welten zu entwickeln – sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei deren Eltern und LehrerInnen. „Soziale Medien und Computerspiele sind per se nichts Böses, und dass sich Jugendliche in virtuellen Welten bewegen, ist ohnehin nicht zu verhindern“, sagt Kothgassner, „aber es gibt dort dieselben Gefahren wie zum Beispiel auch auf dem Schulweg.“ Diese müssten bereits vorher besprochen und ernst genommen werden – nur dann könne man die sozialen Effekte aus dem Netz in der Realität verhindern oder abfedern.
Diese sozialen Effekte spürt übrigens jeder – es kommt nur darauf an, wie lange und wie sehr man sich auf die virtuelle Welt einlässt: „Die einen spüren es bereits nach fünf Minuten, die anderen brauchen fünf Stunden.“ Und sie müssen nicht ausschließlich negativ sein: Auch virtuelle soziale Erfolge spiegeln sich im wahren Leben wider und können für ein erhöhtes Selbstbewusstsein sorgen.
Service: Computers in Human Behavior
„Real-life prosocial behavior decreases after being socially excluded by avatars, not agents.“ Kothgassner, O.D., Wayan, K., Griesinger, M., Kettner, K., Hlavacs, H., Beutl, L., Völkl-Kernstock, S., & Felnhofer, A. Computers in Human Behavior, Jan. 2017.
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0747563216308883